Herrschaft ohne Integration? Rom und Italien in republikanischer Zeit

Herrschaft ohne Integration? Rom und Italien in republikanischer Zeit

Organisatoren
Projekt A 2 des SFB 537 "Institutionalität und Geschichtlichkeit" Lehrstuhl für Alte Geschichte der TU Dresden
Ort
Dresden
Land
Deutschland
Vom - Bis
28.10.2004 - 30.10.2004
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Von
Wolfgang Blösel, Universität Greifswald

Diese international besetzte Tagung befaßte sich mit der Frage, ob die Römer Italien vor dem Bundesgenossenkrieg ohne Integration der Latiner und der socii beherrschen konnten. Sie ist aus der Arbeit des althistorischen Teilprojekts "Der römische mos maiorum von den Anfängen bis in die augusteische Zeit. Öffentliche Rituale und soziopolitische Stabilität" des Dresdner Sonderforschungsbereiches 537 "Institutionalität und Geschichtlichkeit" erwachsen, dem die beiden Tagungsorganisatoren, Martin Jehne und Rene Pfeilschifter, angehören. In den vergangenen Arbeitsphasen hatte die althistorische Forschergruppe diejenigen Integrationsrituale analysiert, die sich auf die Stadt Rom als Schauplatz und damit auf die römischen Bürger konzentrierten, insbesondere die verschiedenen Volksversammlungen und den Zensus. Ein Schwerpunkt der aktuellen Projektarbeit liegt auf der Problematik, ob und wie Unterordnung und Assimilation bei den Latinern und Bundesgenossen sichergestellt werden konnten. Denn bei ihnen konnten entsprechende direkte Kommunikationsakte, die in Rom selbst vollzogen wurden, keinerlei Wirkung entfalten, weil sie teilweise weit entfernt davon lebten. Um Erklärungen für die hohe Stabilität der römischen Herrschaft in Italien zu finden, waren die Integrationsleistungen auf verschiedenen Feldern sowie das Kommunikationsinteresse und die Anpassungsbereitschaft sowohl der Römer als auch der Italiker auszuloten.

Der Schwerpunkt der insgesamt 13 Vorträge lag auf der Einbindung der socii im politischen, rechtlichen, militärischen und sozialen Bereich insbesondere in der Zeit zwischen dem Hannibal- und dem Bundesgenossenkrieg; die Rolle der Wirtschaft wurde nur gestreift. Eine der Religion gewidmete Sektion konnte infolge der Verhinderung beider Referenten (Jörg Rüpke und John Scheid) nicht durchgeführt werden. Dadurch fanden jedoch noch zwei Vorträge zur Demographie im straffen Tagungsplan ihren Platz. Die einzelnen Sektionen leiteten Karl-Joachim Hölkeskamp (Köln), Bernhard Linke (Chemnitz), Christian Meier (München) und Fritz-Heiner Mutschler (Dresden). Die Veranstaltung wurde durch die Fritz Thyssen Stiftung unterstützt. Eine Publikation der Beiträge ist geplant.

Für die provozierende Titelfrage der Tagung hatte offensichtlich das Buch von Henrik Mouritsen (London) "Italian Unification. A study in ancient and modern historiography" (London 1998) den Anstoß geliefert, der seine Grundthesen im Eröffnungsvortrag "Writing the History of Pre-Roman Italy: Hindsight and Historiography" resümierte: Erst die kaiserzeitlichen Autoren, allen voran Appian, hätten das Streben nach dem zu ihrer eigenen Zeit allseits begehrten römischen Bürgerrecht den Italikern zugeschrieben. Gerade die deutsche Geschichtsschreibung des 19. Jahrhunderts habe dann - in Projektion ihrer Hoffnungen auf eine deutsche Reichsgründung - auch die Transformation Italiens in republikanischer Zeit als eine fortschreitende Vereinigung unter römischer Führung verstanden. Ungeachtet wichtiger Differenzierungen im Detail beherrscht diese Auffassung noch immer die Forschung. Den von ihr ungeklärten Widerspruch, daß die Italiker im Bundesgenossenkrieg gerade den Staat erbittert bekämpft haben sollen, nach dessen Bürgerrecht sie angeblich so starkes Verlangen trugen, löst Mouritsen auf, indem er als Kriegsziel der socii statt der Erringung des Bürgerrechts, dessen praktischer Nutzen für sie stark zu relativieren sei, die vollständige Loslösung von Rom ansetzt. Denn gerade die ausschließlich auf die Führungsmacht ausgerichtete Struktur der Bündnisse, die Rom mit den einzelnen italischen Gemeinwesen geschlossen hatte, habe keineswegs eine italische Identität entstehen lassen, sondern im Gegenteil das Bewußtsein der jeweiligen kulturellen und politischen Eigenart betont. Selbst das zeitweise massenhafte Strömen von Italikern in die Stadt Rom beweise nicht, daß auch deren Heimatgemeinden die politische Eingliederung in den römischen Staat wünschten. In der Diskussion wurde jedoch angemahnt, daß hinsichtlich der Interessenlage der Italiker sowohl innerhalb ihrer Gemeinwesen zwischen den jeweiligen Unter- und den Oberschichten, die politisch wie wirtschaftlich aus dem Bürgerrecht großen Nutzen ziehen konnten, als auch zwischen den einzelnen italischen Gemeinwesen grundsätzlich zu differenzieren sei.

Daß konstruierte Identitäten die Integration der Italiker nicht unbedingt befördern mußten, zeigte Maurizio Bettini (Siena). Da er krankheitsbedingt verhindert war, wurde sein Vortrag "The construction of Roman identity vs. Latin identity in the Aeneid" vom Sektionsleiter Fritz-Heiner Mutschler resümiert. Darin wurde der Anspruch der Römer auf trojanische Abkunft dem Zugeständnis des Jupiter an Juno gegenübergestellt, die Latiner könnten - ungeachtet ihrer rein körperlichen Verschmelzung mit den Trojanern - Namen, Sprache, Sitten und moralische Qualitäten unverfälscht bewahren (Aen. 12,819-840). Vergil habe den trojanischen Anteil am Latinervolk deshalb minimiert, um den Römern und allen voran den Juliern eine unverfälschte Abstammung von den Trojanern vorbehalten zu können. In ihrer Reinheit hebe Vergil die Römer also vom Mischcharakter der Latiner ab.

Der Frage, welchen Einfluß die verschiedenen Migrationsprozesse auf die kulturelle und ethnische Integration Italiens haben konnten, nahm sich Francisco Pina Polo (Zaragoza) in seinem Beitrag "Deportation, Kolonisation, Migration: Bevölkerungsverschiebungen im republikanischen Italien und Formen der Identitätsbildung" an. Seine Bestandsaufnahme machte wahrscheinlich, daß durch die Gründung neuer und die Festigung bereits bestehender Kolonien sowie zahlreiche Viritanassignationen, die gerade im ersten Drittel des 2. Jahrhunderts Teil eines koordinierten Kolonisationsprogrammes gewesen seien, ca. 100 000 Bauern angesiedelt wurden und weit mehr als 250 000 Hektar Land zur Verteilung kamen. Dabei habe eine Verlagerung der Besiedlung vom Süden in den Norden der italischen Halbinsel stattgefunden. Obgleich die Deportation besiegter Volksstämme von den Römern als Bestrafung eingesetzt worden sei, habe sie doch als Instrument römischer Agrarpolitik zur regelrechten Neuansiedlung mehrerer zehntausend Menschen geführt, da die Deportierten ausreichend Land erhalten hätten. Schließlich sei für das 2. Jahrhundert eine verstärkte Wanderungsbewegung vom Land in die verschiedenen größeren Städte Italiens zu konstatieren. Insgesamt schätzte Pina Polo die Zahl der Migranten im 2. Jahrhundert auf mindestens 250 000, was etwa ein Viertel bis ein Drittel der damaligen Gesamtbevölkerung Italiens ausgemacht habe. Daraus schloß er auf eine Intensivierung des Integrationsprozesses und der kulturellen Vermischung in weiten Teilen Italiens. Dennoch hätten die ethnischen Gruppen ihre Eigenheiten auch im neuen Kontext bewahrt - was keineswegs gegen eine erfolgreiche Integration sprechen müsse. In der Diskussion wurden die methodologischen Schwierigkeiten bei der Heranziehung von archäologischen Zeugnissen als Nachweis für die Anwesenheit einer ethnischen Gruppe betont. Angesichts des spärlichen und problematischen Quellenbefunds bleibt zu fragen, ob hierbei nicht theoretische Modelle der Migrationsforschung weiterhelfen könnten.

Heinrich Schlange-Schöningen (Berlin) untersuchte die "Römische 'Integration' der Marser und Messapier"; ihr Vergleich sollte unterschiedliche Integrationsintensitäten aufdecken. Endgültig im 4. Jahrhundert von den Römern unterworfen, seien diesen die räumlich wie kulturell nahestehenden Marser bis zum Bundesgenossenkrieg treu geblieben, was teilweise durch die zahlreichen familiären Bindungen, so zur gens Manlia, erklärbar sei. Da jedoch die 304 gegründete latinische Kolonie Alba Fucens einen Großteil des marsischen Ackerlandes beansprucht habe, hätten viele Marser sich zur Sicherung ihres Lebensunterhaltes in den römischen Heeren verdingen müssen. Ihr früher Abfall von Rom im Bundesgenossenkrieg lasse sich womöglich damit erklären, daß sie über das römische Bürgerrecht die Möglichkeit erstrebten, bei Landverteilungen der Römer auch Berücksichtigung zu finden. Obgleich die Messapier in erheblich größerer Entfernung von Rom lebten und nach der Schlacht von Cannae abfielen, seien in Krisenzeiten dennoch ihre familiäre Verbindungen zu den Römern aktiviert worden. Hingegen scheinen sich die Ligurer jeglicher Integration durch permanenten Widerstand verweigert zu haben. Eine solche vergleichende Regionalstudie verdeutlicht, daß sich die einzelnen italischen Völkerschaften nach ihrer je spezifischen Interessenlage unterschiedlich stark in den römischen Herrschaftsverband einbinden ließen.

Jean-Michel David (Paris) erwies in seinem Vortrag "La prise en compte des intérêts des communautés italiennes dans l'état romain républicain de la guerre d'Hannibal à la guerre sociale: procédures et résultats" den Senat als den wichtigsten Ansprechpartner der Italiker; allerdings hätten sie der Vermittlung durch Magistrate oder ihre Patrone bedurft, um Gehör vor diesem Gremium zu finden. Und dies sei den Italikern auch nur dann gelungen, wenn ihre Angelegenheiten zum Gegenstand innerrömischer Streitigkeiten geworden seien, so beim Eintreten des Scipio Aemilianus gegen die Umsetzung des gracchischen Ackergesetzes. Die Stilisierung des Senats als oberste Autorität für ganz Italien und zudem Hüter römischer Stärke entspringe nicht bloß einem von Livius und anderen Geschichtsschreibern verbreiteten Idealbild; vielmehr sei die Härte, die der Senat gegenüber den Italikern bewiesen habe, besonders wenn er deren Gesandtschaften Monate auf eine Anhörung warten ließ, oftmals durch die jeweiligen Umstände durchaus gerechtfertigt gewesen. In der Diskussion wurde allerdings die historische Glaubwürdigkeit der livianischen Stilisierungen des Senats in Zweifel gezogen.

Rene Pfeilschifter (Dresden) erörterte in seinem Beitrag "'How is the Empire?' Das Wissen Roms um Italien" die Bereitschaft der römischen Senatoren, sich Informationen über den italischen Herrschaftsraum zu verschaffen. Den Umstand, daß der Senat erst durch den 186 zur Verfolgung der Bacchanalien in Italien umhergesandten Konsul davon erfuhr, daß die zehn Jahre zuvor gegründeten Kolonien Buxentum und Sipontum von den Siedlern verlassen worden waren, wertete Pfeilschifter als schlagenden Beweis für das Desinteresse der Senatoren am Schicksal Italiens. Offenbar hätten sich nicht einmal die für diese Gründungen verantwortlichen tresviri um deren Entwicklung gekümmert. Allein die Zahl der Wehrfähigen bei den Italikern in der formula togatorum habe in Rom Beachtung gefunden. Auch die Kommunikationsbedingungen seien angesichts der nur wenigen großen überregionalen Straßen zu schlecht gewesen, als daß sich die Senatoren der akuten Probleme der großenteils entlegenen Gemeinwesen hätten annehmen können. Am schwersten wiege jedoch, daß die stadtrömischen Aristokraten die adligen Familien Italiens als sozial inferior vernachlässigen zu können geglaubt hätten und ihnen folglich familiäre oder wirtschaftliche Beziehungen mit diesen kaum der Mühe wert erschienen seien. Daher sei das Beziehungsgeflecht der römischen Adligen zur italischen Oberschicht keineswegs so dicht gewesen, wie allgemein angenommen werde. Gerade das Desinteresse von Römern und Italikern aneinander habe wesentlich zur Stabilität der römischen Herrschaft beigetragen. In der Diskussion wurde zu bedenken gegeben, daß die nachweisbaren Kontakte der Claudii oder Fabii Maximi zu italischen Adelsfamilien keineswegs isolierte Einzelfälle darstellten.

In seinem Vortrag "Römer, Latiner und Bundesgenossen in Kooperation und Wettbewerb" untersuchte Martin Jehne (Dresden) "Formen und Ausmaß der Integrations- und Assimilationsimpulse in der republikanischen Armee". Diese sei keineswegs, wie oft postuliert, der Schmelztiegel für die verschiedenen ethnischen Gruppen gewesen; denn die socii seien darin nur selten mit den Römern in direkten Kontakt gekommen, da sie in eigenen Einheiten gedient hätten, deren einheimische Offiziere ihnen die lateinischen Befehle in ihre jeweilige Sprache übersetzt hätten. Hingegen habe das von Polybios (6,19f.) geschilderte Aushebungsritual, das die römischen Rekruten allein nach ihrer militärischen Fähigkeit, jedoch ohne jede Rücksicht auf ihre geographische Herkunft auf die Legionen verteilte, schließlich militärisch ungefähr gleich starke Einheiten geschaffen, die regional völlig amorph gewesen seien. Auf diese Weise habe sich eine allgemein römische Gruppenidentität ausgebildet. Infolge der hohen Mobilisierungsrate sei vom dilectus ein enormer Integrationsimpuls für die weit verstreut auf dem ager Romanus lebenden Römer ausgegangen. Zu Beginn des 2. Jahrhunderts habe jedoch die römische Armee den egalitären Grundzug immer mehr verloren, da sich die militärischen Aufgaben immer weiter spezialisiert hätten, auch Freiwillige rekrutiert sowie Sold und Prämien für die Zenturionen verdoppelt worden seien. Dadurch habe sich zwar dem einfachen Römer eine neue, lukrative Einkommensquelle, die des Berufssoldaten, eröffnet. Insgesamt sei aber die Partizipationsrate der Römer im Laufe des 2. Jahrhunderts deutlich gesunken, so daß die Steigerung der militärischen Schlagkraft durch eine Minderung der Integrationswirkung des Heeresdienstes auf die römische Landbevölkerung erkauft worden sei. Für die Latiner und Bundesgenossen hingegen habe der Dienst in der römischen Armee ohnehin mangels dieser Aufstiegschancen keinen gesteigerten Anreiz geboten, sich einzufügen.

Nathan Rosenstein (Columbus/Ohio) befaßte sich mit "Recruitment and its consequences for Rome and the Italian allies". Er stellte die communis opinio in Frage, laut der die zahlreichen Aushebungen im 2. Jh. mit ihren gravierenden demographischen Folgen den Niedergang des Kleinbauerntums in Italien verursacht und schließlich zu einem Mangel an Rekruten geführt hätten. Dazu zeigte er auf, daß eine durchschnittliche fünfköpfige Familie mit einem 50jährigen Vater und einer 40jährigen Mutter die Einziehung eines Sohnes zum Heeresdienst ohne größere Probleme verkraften konnte - zumal wenn der Ehemann einer Tochter als Arbeitskraft auf dem Hof habe eingesetzt werden können. Denn es sei wahrscheinlich, daß römische wie italische Männer erst spät, vermutlich erst mit Anfang der 30er Jahre, heirateten, so daß eine Armeezeit des Sohnes im Alter zwischen 17 und 33 dem - zudem meist väterlichen - Hof nicht die entscheidende Arbeitskraft entzogen habe. Überdies sei es - entgegen der verbreiteten Auffassung - leicht vorstellbar, daß Frauen allein, ohne männliche Unterstützung, einen Hof auch über einen längeren Zeitraum hätten bewirtschaften können. Die hohe Sterblichkeit von Soldaten, die ca. 25% über der von Zivilisten lag - d.h., ein Drittel bis die Hälfte sei bei einer durchschnittlichen Dienstzeit von 12 Jahren nicht mehr aus den Kriegen zurückgekehrt -, habe den Überlebenden neue Möglichkeiten eröffnet, selbst einen Hof zu erwerben oder diesen rentabel zu führen. Deshalb habe auch die hohe Gefallenenzahl von Römern im 2. Jh. das erhebliche Bevölkerungswachstum nicht aufwiegen können, das u.a. an den Kolonisationsunternehmungen abzulesen sei.

Walter Scheidel (Stanford) betonte in seinem Vortrag "Die Demographie der römischen Staatsbildung und die kulturelle Entwicklung in Italien" die Spannung zwischen dem imperial-hegemonialen Herrschaftssystem und der stadtstaatlichen Verfassung Roms, an der die Römer unbeirrt festhielten. Dabei sei schon zwischen 400 und 225 v. Chr. die Bevölkerung ihres Herrschaftsgebietes von ca. 100 000 Bürgern auf dem ager Romanus und 200 000 socii auf bis zu 300 000 Bürger im Kerngebiet, weitere 600 000 in der Peripherie und schließlich über 2 Millionen Bundesgenossen angewachsen. Während von 350 bis 50 v.Chr. die Aushebungsquote relativ konstant bei 10 bis 15% der erwachsenen männlichen Römer gelegen habe - Mitte des 4. Jhs., dann im Hannibal- und im Bundesgenossenkrieg seien allerdings Spitzen von 25 bis 30 % erreicht worden -, sei im gleichen Zeitraum die Rate der theoretischen maximalen politischen Beteiligung von ca. 66 auf 2 % bei Volksversammlungen auf dem Marsfeld und von ca. 10 auf 1 % für Versammlungen auf dem Forum gefallen. (Scheidel legte hierbei den niedrigen Ansatz für die freie Gesamtbevölkerung Italiens von ca. 4 Millionen unter Augustus zugrunde.) Wenn die meisten römischen Bürger in den letzten Jahrzehnten der Republik nicht mehr an politischen Entscheidungen partizipiert hätten und nur noch über den Militärdienst in den Staat integriert worden seien, so habe dies für die erst kürzlich eingebürgerten Italiker natürlich in noch höherem Maße gegolten. In den letzten beiden vorchristlichen Jahrhunderten seien ca. 2 bis 2,5 Millionen Erwachsene besonders durch Kolonisationsprogramme und die Landflucht einem Migrationsprozeß unterlegen. Diese gewaltigen Bevölkerungsverschiebungen hätten zwangsläufig in weit größerem Umfang zur kulturellen Integration der Italiker in den römischen Staat beigetragen als die institutionellen Veränderungen wie Bündnisse oder Einbürgerungen.

Johannes Keller (Dresden) arbeitete in seinem Beitrag "Rechtsordnungen im römischen Italien" einige Unterschiede zwischen dem ausschließlich für die römischen Bürger gültigen ius civile und dem ius gentium heraus. Er argumentierte, daß schon 242 das Amt des praetor peregrinus geschaffen worden sei, um in Rom den Rechtsverkehr zwischen Römern und Peregrinen, aber auch zwischen den Peregrinen untereinander zu regeln. Rom sei damit zu einer italienweiten Berufungsinstanz gerade in Handelssachen geworden. Der praetor peregrinus habe das ius gentium zur Anwendung gebracht, das sich zu einem regelrechten Handelsrecht entwickelt habe und in formeller wie materieller Hinsicht deutlich flexibler gewesen sei als das ius civile. Dies habe insbesondere gegolten beim abstrakten Schuldversprechen (stipulatio) für die neugeschaffene fidepromissio, die formfreien, lediglich auf der bona fides beruhenden Konsensualkontrakte wie Kauf (emptio venditio) oder Verdingung (locatio conductio) und den Formularprozeß. Da das ius gentium weit höhere Zinssätze zugelassen habe als 12 %, die das ius civile als Maximum für Darlehen zwischen Bürgern vorgeschrieben habe, hätten sich Römer der Peregrinen als Strohmänner für ihre Geschäfte bedient. Angesichts dieser Flexibilität und mancher Vorteile, die Peregrine infolgedessen sogar gegenüber den Bürgern genossen hätten, seien im 2. Jahrhundert viele Bestimmungen des - insgesamt deutlich jüngeren - ius gentium in das - ältere - ius civile übernommen worden.

John R. Patterson (Cambridge) nahm in seinem Vortrag "The Relationships of the Italian Ruling Classes with Rome: Friendship, Family Relations and their Consequences" die Gastfreundschaft und die Eheverbindungen zwischen Römern und Italikern unter die Lupe. Seit archaischer Zeit habe das hospitium einen hohen Stellenwert in den Beziehungen der Oberschichten der italischen Städte und Roms zueinander besessen, wovon auch die tesserae hospitales zeugten. Gerade die gegenseitige Beherbergung von Römern und Italikern, besonders derjenigen, die in der Nähe von Häfen oder wichtigen Straßen gelebt hätten, habe einen raschen Informationsfluß zwischen Zentrum und Peripherie ermöglicht. Ähnliches gelte auch für die "gemischte" Gesellschaft der Villenbesitzer rund um den Golf von Neapel seit dem 2. Jh. Einzelne römische Adelsfamilien seien durch die Eroberung einer italischen Region oder die Gründung von Kolonien unter der Führung eines ihrer Vorfahren in ein hospitium - und Patronatsverhältnis mit ganzen Gemeinwesen gelangt. Ihr dortiges Engagement sei an der Finanzierung von Straßen und sonstigen Repräsentativbauten leicht ablesbar. Die engste Verbindung zwischen Römern und Italikern, die das Recht des conubium besaßen, hätten allerdings Heiraten geschaffen. Bezeichnenderweise erfahren wir sowohl von solchen Gastfreundschaften als auch Ehebanden fast ausschließlich von Historikern, die den Bundesgenossenkrieg schildern, wo diese Beziehungen jeweils den Anknüpfungspunkt für anrührende exempla geliefert hätten. Die engen Verbindungen, für die in vielen Fällen primär wirtschaftliche Motive auszumachen seien, hätten dennoch nicht das Blutvergießen verhindern können, so daß es schwierig sei, ihre Bedeutung für die Integration der Italiker in den römischen Staat zu ermessen. In der Diskussion wurde betont, daß es kein flächendeckendes Netz solcher Beziehungen gegeben habe und daß es für Hunderte adlige Familien in Italien kaum möglich gewesen sei, zu den etwa zwanzig wirklich einflußreichen römischen Häusern einen intensiven Kontakt aufzubauen.

Michel Humm (Strasbourg) verfocht in seinem Beitrag "Tribus et citoyenneté: extension de la citoyenneté (romaine) et expansion territoriale" die These, daß in der Mittleren Republik (381 bis 241 v.Chr.) die territoriale Expansion Roms eine Ausdehnung des Bürgerrechts und eine Vermehrung der tribus nach sich gezogen habe, welche die Integration der unterworfenen Völkerschaften habe ermöglichen sollen. Die tribus, die ursprünglich den rechtlichen Status des ager privatus bestimmt habe, sei im 4. Jh. infolge der Musterung der Bürgerschaft durch die Zensoren gemäß ihrem Grundbesitz zu einer Verwaltungseinheit geworden. Jedoch erst der Zensor Ap. Claudius Caecus habe 312 die Bürger ohne jede Rücksicht auf die Art ihres Vermögens in die tribus eingeschrieben, um für die aufgrund der Samnitenkriege notwendigen Aushebungen einen raschen Zugriff auf alle wehrfähigen Bürger zu gewährleisten. Seine Tribusreform habe den Niedergang des seit Beginn der Republik gültigen Kuriatsystems besiegelt, welches die Zugehörigkeit zur römischen Bürgerschaft an die Kurie gebunden und so eine politische Integration neuer Bürger entscheidend behindert habe. Als sich 312 die designierten Konsuln der von Ap. Claudius angestrebten Aufnahme von Söhnen von libertini - mit diesem Terminus seien 'neue Bürger', nicht 'Freigelassene' gemeint - aus Latium und Kampanien unter Verweis auf das Fehlen einer Kurienzugehörigkeit widersetzten, habe der Zensor alle Bürger unterschiedslos nach den tribus gemustert und die alten Kuriatkomitien durch die Tributkomitien ersetzt. Der damit vollzogene Übergang von einem auf die Herkunft des einzelnen gestützten zu einem territorial begründeten Bürgerrecht habe erst die Integration einer stetig steigenden Bürgerzahl möglich gemacht und wesentlich zur Stabilität des wachsenden Staates beigetragen.

Im Abschlußvortrag "Rom und Italien vom Bundesgenossenkrieg bis zu Augustus" bot Hartmut Galsterer (Bonn) einen Ausblick darauf, wie die Italiker nach dem Erhalt des römischen Bürgerrechtes sozial und rechtlich integriert wurden. Er vertrat die traditionelle Auffassung von der enormen Bedeutung des Bürgerrechts für die Italiker als Motiv für den Bundesgenossenkrieg, zumal ihnen durch die gracchischen Ackergesetze sowie die Landverteilungen und Koloniegründungen der folgenden Jahrzehnte ihre gravierende Benachteiligung immer deutlicher vor Augen geführt worden sei. Innerhalb der einzelnen italischen Gemeinwesen sei durch die Verleihung des römischen Bürgerrechts an die lokalen Magistrate zudem eine Ungleichheit geschaffen worden. Bezeichnenderweise sei nach dem Angebot des Bürgerrechts durch die lex Iulia im Jahr 90 der erbitterte Widerstand der socii auseinandergebrochen, da die Interessen der Oberschichten der einzelnen Gemeinwesen doch deutlich auseinandergeklafft hätten. Mit der Bürgerrechtsverleihung sei in vielen Teilen Italiens eine Munizipalisierung und verstärkte Urbanisierung einhergegangen, da das Land der socii ebenso wie der römische ager publicus nun in Munizipien und Kolonien eingeteilt worden sei. Damals seien Hunderte von Stadtgesetzen verfaßt worden, die nach römischen Vorgaben standardisiert gewesen seien. Gerade die neugegründeten Städte am Südrand der Alpen, z.B. Brescia, obgleich bis 49 nur mit dem ius Latii versehen, hätten sich infolge dieser Strukturierungsmaßnahmen zu wahren römischen Musterstädten entwickelt. Auch die Oberschichten der italischen Gemeinwesen hätten sich um so schneller integriert, als sie die großen Lücken hätten ausfüllen können, welche die Bürgerkriege in die Reihen der römischen Aristokratie geschlagen hatten. In der Diskussion wurde die große Bedeutung der Neubürger als Reservoir für Wählerstimmen unterstrichen, für die sich sogar eine Reise in die Cisalpina gelohnt habe; allerdings habe sich die Wahlwerbung auf die obersten Zensusklassen beschränken können, da die Magistratswahlen ja in den timokratisch hierarchisierten Zenturiatkomitien stattfanden. In der kurzen Abschlußdiskussion wurden die Kriege als zentraler Katalysator einer Integration der Italiker betont. Zudem wurde nochmals festgehalten, daß Integration bzw. Romanisierung einerseits und Bewahrung lokaler italischer Traditionen andererseits einander keineswegs ausschlössen.

Die Dresdner Tagung hat - nach Auffassung des Berichterstatters - zweifelsfrei gezeigt, daß die Römer mindestens einzelne Gruppen von Italikern, namentlich die Oberschichten, in ihre Herrschaft integriert haben. Reichlich Diskussionsstoff bieten hingegen zum einen die einzelnen Felder und zum anderen das jeweilige Ausmaß der Integration. Konzentriert man sich auf den politisch-institutionellen Bereich, wird man enttäuscht; findet man doch vom Senat und von den römischen Magistraten oft die starke Asymmetrie in den Kontakten zu den Italikern hervorgehoben, sofern die Römer überhaupt Interesse für deren Anliegen zeigten (David, Pfeilschifter). Dabei hatten sie schon früh ihre Fähigkeit zur Eingliederung von Neubürgern bewiesen (Humm), auch wenn sie Ende des 2. Jahrhunderts nur noch wenig Bereitschaft dazu aufbrachten (Mouritsen). Während das Aushebungsritual die Bürger stark einband, konnte die römische Armee aufgrund der ethnischen Trennung und des Ausschlusses der Italiker vom Aufstieg in der militärischen Hierarchie nicht als Integrationsraum zu fungieren (Jehne). Gleichwohl bot sie u.a. den Marsern mit ihren Verdienstmöglichkeiten Nischen zum Überleben (Schlange-Schöningen). Auffallenderweise waren die Römer im Rechtsverkehr willens, die im Umgang mit den Italikern erprobten flexibleren Regelungen des ius gentium in das ius civile einzubinden und so auch den Italikern weitere wirtschaftliche Möglichkeiten zu eröffnen (Keller).

Betrachtet man die informellen und individuellen Kontaktfelder, so stellten Gastfreundschaften und Eheverbindungen zwischen Römern und Italikern ein Nahverhältnis her, das die soziale Einbindung der italischen Aristokraten nachhaltig beförderte (Patterson). Doch nicht nur innerhalb der Ober-, auch in den Unterschichten lassen sich - oft der Not gehorchende - Integrationsprozesse ausmachen: Kolonisation, Migration in die größeren Städte und selbst die Deportation ganzer Volksgruppen bewirkten eine starke Assimilation der verschiedenen Gruppen an römische Standards (Pina Polo; Scheidel). Auch die demographischen Umschichtungen infolge der permanenten Aushebungen schufen nicht zu unterschätzende Freiräume für die Bewohner Italiens (Rosenstein). Zur Abrundung der Tagungsthematik wären Vorträge zur wirtschaftlichen Entwicklung Italiens besonders im 2. Jahrhundert wünschenswert gewesen. Es ist denkbar, daß die Italiker die deutliche Diskrepanz zwischen der durchaus fortschreitenden wirtschaftlichen, sozialen und handelsrechtlichen Einbindung einerseits und der anhaltenden Benachteiligung im politischen und militärischen Bereich infolge des verweigerten römischen Bürgerrechts andererseits zu Beginn des 1. Jahrhunderts als so eklatant empfanden, daß ihnen nur noch mit Gewalt die volle Gleichberechtigung erreichbar schien. Als sich die Römer ihrerseits notgedrungen erst einmal zur Schaffung eines einheitlichen Bürgergebietes in Italien durchgerungen hatten, trieben sie die politische Integration der Gemeinden nachdrücklich und mit Erfolg voran (Galsterer).

In Dresden wurden die verschiedenen Felder der Integration der Italiker in den römischen Herrschaftsverband untersucht und die divergierenden Richtungen und Intensitäten darin aufgezeigt. Die deutlichen Diskrepanzen zwischen den einzelnen Bereichen sind beredtes Zeugnis für das Fehlen einer langfristigen und abgestimmten Integrationspolitik seitens der römischen Nobilität und erweisen Integrationsimpulse, aber auch Ausgrenzungstendenzen als entscheidend bestimmt von einzelnen Individuen und der Tagespolitik. Um so aufschlußreicher für die Geschichte der römischen Republik insgesamt ist der detaillierte Vergleich der unterschiedlichen historischen und regionalen Kontexte der Einbindungsprozesse, der auf dieser Tagung geleistet wurde und Perspektiven für die weitere Forschung zu bieten vermag.


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